Sonntag, 25. Februar 2018

Kaufsucht und Ihre Ursachen



Kaufsucht ist ein nicht seltenes Phänomen unserer Zeit, das überwiegend bei Frauen zu beobachten ist. Ein literarisch beeindruckendes Beispiel für die Kaufsucht ist Flauberts Madame Bovary. Emma, vom Leben an der Seite ihres auf dem Land als Arzt praktizierenden einfach strukturierten Mannes zunehmend gelangweilt, wird immer unzufriedener. Ihr Jungmädchentraum von einem schillernden gesellschaftlichen  Leben ist gescheitert. Auch die Liebhaber, die sie sich nimmt, können ihre innere Leere nicht füllen. Sie leidet unter Depressionen und empfindet ihr ruhiges Leben als Höllenqual. Als ihr Liebhaber Léon nach Rouen zieht, trauert sie ihm nach und steigert sich, um den Verlust zu kompensieren, in eine Luxus- und Kaufsucht. Durch das Kaufen von teuren Kleidern und Einrichtungsgegenständen verschuldet Emma die Familie immer mehr, bis sie vor dem finanziellen Ruin steht. Als sie begreift, was sie angerichtet hat, tötet sie sich selbst. 

Was Gustave Flaubert 1848 aus dem Journal de Rouen entnahm, das über den Selbstmord der Arztgattin Delphine Delamare aus Ry bei Rouen berichtete, veranlasste ihn sich einem Thema zuzuwenden, das heute noch aktuell ist. Die innere Leere der Emma, die Unzufriedenheit mit dem was ist, der Widerstand gegen das Leben wie es ist, die Sehnsucht nach immer mehr und immer schöner ist ein Phänomen unserer Zeit, in der das Haben über das Sein gestellt wird. Die westliche Welt ist voll von unzufriedenen Menschen.

Je unzufriedener ein Mensch ist, desto stärker ist seine Identifikation mit dem Haben. Er definiert sich maßgeblich über Äußeres – sein Aussehen, seinen Job, seine Kleidung, die Dinge, die er sich kauft, über Situationen, Ereignisse und andere Menschen. Er ist durchdrungen vom Gefühl nicht genug zu haben. Sein Streben ist ein ewiges Habenwollen. Das führt zu immer mehr Unzufriedenheit, denn egal was er hat, es ist nie genug. 

Habgier und Kaufsucht entstehen, weil anderes fehlt, also aus einem inneren Mangel heraus. Das seelische Gefäß fühlt sich leer an, der Bezug zum Selbst und zum Leben ist gestört, ebenso wie das Selbstwertgefühl. Kaufsucht ist überwiegend bei Frauen zu beobachten, denen das Gefühl der Selbstverwirklichung und der Selbstwirksamkeit fehlt. 

Durch Kaufen entstehen positive Emotionen, die aber schon wenige Stunden später wieder verfliegen. Mit dem Kaufen von Dingen, die im Grunde gar nicht benötigt werden, gelingt es nur kurzfristig seelische Mängel zu kompensieren. Materialistische Verhaltensweisen allerdings sind dem psychischen Wohlbefinden nicht förderlich. Im Gegenteil, Betroffene brauchen immer mehr vom Vielen. Zwanghaftes Kaufen kann sich zu einer Sucht entwickeln und manifestieren, denn wie bei anderen Süchten wird durch den Kontakt mit dem Suchtmittel, hier beim Kaufen, Dopamin ausgeschüttet. Auf diese Weise bildet sich mit der Zeit, ähnlich wie bei Subtanzsüchten, eine suchtähnliche Disposition. In höherer Ausprägung zählt Kaufsucht sogar zu den Zwangsstörungen. 

Kaufsucht wird in erster Linie von Neurotizismus begünstigt, von emotionaler Instabilität und unterdrückten Ängsten, narzisstischen Persönlichkeitsstörungen und einem damit einhergehenden geringen Gefühl des eigenen Selbstwertes und dem Mangel an Sinnempfindung im Leben. Biografische Studien mit Kaufsüchtigen ergaben, dass bei vielen der Betroffenen in der Kindheit der Wunsch nach Aufmerksamkeit, Zuwendung und Liebe nicht oder nur wenig erfüllt wurde. Das Selbst des Kindes wurde nicht gesehen, nicht gefördert oder gar unterdrückt. Nicht sein zu dürfen was es ist, untergräbt das Selbstwertgefühl eines Kindes oder vernichtet es vollends. Dies führt dazu, dass es kein gesundes Selbstbild entwickeln kann und so auch nicht lernt sich selbst Fülle zu schenken. Diese wird ein Leben lang im Außen und durch das Außen zu erreichen versucht.

Die modernen Madame Bovarys, heute würde man sie Shopping Queens nennen, sind zahlreich. Manche von ihnen sind sich ihres Leidens zwar bewusst, meist beim Blick auf das überzogene Konto, sie finden aber nur selten Heilung, denn sie sind bedauerlicherweise äußerst therapieresistent.


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